Timothy Leary: LSD Forschung und magische Pilze

Autor: Marvin Benthien

|

|

Lesezeit 9 min

Heute möchten wir uns mit einer sehr interessanten Persönlichkeit beschäftigen – Timothy Leary. Er war amerikanischer Psychologe und Autor der 1960er und viel darüber hinaus. Natürlich machen wir hier keinen langweiligen Geschichts-Beitrag über einen weiteren Professor, der damals irgendwas Spannendes gemacht hat. Nein, Leary weckt unser ganz spezielles Interesse, denn er war alles andere als langweilig oder gewöhnlich.


Bei US-Autor und Psychologe denkt man nicht gerade daran, dass er zu seinen Zeiten für ziemlich viel Aufsehen gesorgt und den Begriff „polarisieren“ gewissermaßen neu definiert hat. Als wären die 1960er nicht schon turbulent genug gewesen, sorgte Timothy Leary für noch mehr Wirbel. Warum er besonders für uns so interessant ist und welche umstrittenen Ansichten er vertreten hat, werden wir nun genauer betrachten. Vor allem möchten wir zeigen, welche Bedeutung seine damaligen Erkenntnisse und Werke für die heutige Zeit haben.

Harvard Professor & LSD: Deswegen war Timothy Leary so besonders

Wer war Leary und was machte ihn zu solch einer polarisierenden Figur? Als Timothy Francis Leary am 22. Oktober 1920 in Springfield Massachusetts geboren, erlangte er in seinem spannenden Leben und auch weit darüber hinaus umstrittene Berühmtheit. Neben seiner Arbeit als Psychologe verfasste er mehrere Bücher und lehrte sogar als Professor an der Harvard Universität. Klingt zunächst nur nach einem weiteren, intelligenten Menschen der damaligen Zeit und nicht nach polarisierend, oder? In Harvard unterrichtete er nicht nur, er forschte und experimentierte dort auch und arbeitete einige psychologische und psychotherapeutische Erkenntnisse und Ansätze aus.


Diese hatten jedoch nicht mit normalen Verhaltensauffälligkeiten oder psychischen Krankheiten zu tun. Er forschte auch nicht an neuen Therapie-Ansätzen für verhaltensauffällige Menschen. Seine Erkenntnisse hatten Themenschwerpunkte wie Sex auf LSD oder Magic Mushrooms. Man kann es sich heutzutage kaum vorstellen, aber der Harvard-Professor und Psychologe war bekannt für seine Experimente mit LSD und anderen bewusstseinserweiternden Substanzen. Dabei erforschte er, inwiefern diese Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche haben können und wie sie sogar einen positiven Einfluss haben. Zu diesen Zeiten war LSD noch legal und hatte das Potenzial, das menschliche Bewusstsein positiv zu erweitern, zumindest nach Timothy Leary. Psychedelische Erfahrungen hatte er genug, denn seine Forschung wurde auch von seinen persönlichen Erkenntnissen durch den Konsum von LSD beeinflusst.


Durch seine kontroversen Experimente und Ansichten zog er viel öffentliches Interesse und Aufmerksamkeit auf sich. Diese fiel nicht immer positiv aus, dennoch wurde er dadurch weit über die akademische Welt hinaus berühmt. Seine Konzepte und Werke verewigte er in einigen Büchern, denn wie anfangs erwähnt, war er nicht nur Psychologe und Professor, sondern auch US-Schriftsteller. Timothy starb 1996 in Beverly Hills an Prostatakrebs, doch seine einzigartigen Werke liefern uns bis heute unglaubliche Einblicke.

Timothy Leary (1969)
Timothy Leary (1969)

Kosmisches Bewusstsein: Ein Konzept über Grenzen hinaus

Eines dieser Werke ist Learys Konzept des kosmischen Bewusstseins, welches im Zentrum seiner Ideen steht und eng mit seinen eigenen Erkenntnissen durch bewusstseinserweiternde Substanzen verknüpft ist. Timothy war überzeugt, dass Menschen eine erweiterte Form des Bewusstseins haben, die über das alltägliche Verständnis der Realität weit hinausgeht. Dieses erweiterte Bewusstsein sei viel tiefer und universeller mit allem, das existiert, verbunden. Einfacher gesagt: So wie wir unsere Welt, alles darin und um uns herum, täglich erleben, sei unser normales Bewusstsein. Die erweiterte Form dagegen, könnte uns das alles anders erleben lassen, laut Timothy tiefer und umfangreicher. Um den Zustand des erweiterten Bewusstseins zu erreichen, benötige man nach Leary psychedelische Substanzen wie LSD. Diese wären der Schlüssel zu einem Zustand, den man anders nicht erreichen könne.


Geprägt wurde seine Ansicht durch seine persönliche, psychedelische Erfahrung. Diese überzeugte ihn davon, dass der menschliche Geist fähig sei, eine viel umfassendere Wahrnehmung der Realität zu erreichen, als es im normalen Bewusstseinszustand der Fall ist. In diesen Fällen würden auch die Grenzen des Ichs verschwimmen und eine universelle Verbundenheit mit der Umwelt bilden. So gäbe es also kein Ich, Du und diesen Schreibtisch in diesem Raum, sondern ein wir, miteinander, alle zusammen, gleichzeitig. Klingt das verwirrend? Wie man es auch sehen und nennen mag, ob Halluzinationen, einen Trip oder psychedelisch – Bedeutung hatte für Leary primär der Sinn hinter dem Ganzen. Es ging ihm dabei nicht um sinnlosen Drogenkonsum oder lustige, halluzinogene Erlebnisse. Für ihn stand das Verständnis unseres Selbst und unserer Realität im Vordergrund. Er betrachtete die Substanzen als eine Art besonderes Werkzeug für eine höhere Qualität des Bewusstseins und eine Steigerung des menschlichen Potenzials.

Timothy Leary & Richard Alpert: Das Harvard Psilocybin-Project

Obwohl Leary mit seinen Experimenten überwiegend polarisierte und auf viel Kritik und Ablehnung stieß, fand er einen besonders wichtigen Gleichgesinnten. Richard Alpert (Ram Dass wurde später sein spiritueller Name) war, genauso wie Timothy, Psychologe an der Harvard Universität. Durch ihre Zusammenarbeit und vor allem ihre gemeinsame Faszination für die Potenziale des menschlichen Bewusstseins wurden sie zu Forschungskollegen und darüber hinaus zu Freunden.


Ihr gemeinsames Interesse, hauptsächlich an LSD und der Psilocybin-Wirkung, wurde zum Grundbaustein von bahnbrechenden wissenschaftlichen Untersuchungen. In sogenannten „magischen Pilzen“ oder auch „Magic Mushrooms“ findet man den psychedelischen Wirkstoff Psilocybin. Aus diesem Grund stößt man auch manchmal auf den Ausdruck „Psilocybin Mushrooms“, der den wissenschaftlichen Term des Wirkstoffes korrekter ausdrückt, als die umgangssprachliche „magische“ Wirkung.


Aus diesem Interesse heraus gründeten Timothy Leary und Ram Dass (Richard Alpert) das Harvard Psilocybin-Project.

Die Harvard LSD Studies von Timothy Leary und Ram Dass

Ziel der sogenannten „Harvard LSD Studies“ war die Forschung an den Grenzen des menschlichen Geistes. Dazu gehörte auch die vorhandene Kapazität des Geistes, die nötig für dessen Transformation zur erweiterten Version war. Leary und Alpert wollten nicht nur Erkenntnisse darüber erlangen, wie solche Substanzen wirken, sondern auch darüber, wie man sie positiv einsetzen könnte. Dafür forschten sie an Möglichkeiten, Psychedelika gezielt für spirituelle und therapeutische Möglichkeiten einzusetzen.


Sie führten zusammen viele Experimente durch. Bei diesen wurden sowohl LSD als auch Psilocybin Freiwilligen verabreicht, um deren Einfluss auf das psychologische und spirituelle Erleben zu untersuchen. Ein bekanntes Beispiel für solche Studien ist das „Marsh Chapel Experiment“, auch bekannt als das „Good Friday Experiment“. Religiösen Teilnehmern wurde dabei Psilocybin gegeben, um spirituelle Erfahrungen bei ihnen zu erzeugen.


Die Forschungen von Alpert und Leary an der Harvard Universität warfen ein neues Licht auf das therapeutische und spirituelle Potenzial bewusstseinserweiternder Substanzen, sowie auf deren Erforschung. Da sie jedoch vor allem Kontroversen hervorriefen, wurden Timothy und Richard 1963 von der Harvard Universität entlassen. Unter anderem wurden mangelnde wissenschaftliche Strenge und ethische Bedenken kritisiert, da beide selbst an den Drogen-Experimenten teilnahmen und sie diese auch außerhalb der Universität durchführten. Besonders fand man, dass sie unter anderem auch an Studenten und Gefängnisinsassen forschten.

Marsh Chapel Window
Rundes Fenster über dem Altar in der Marsh Chapel der Universität Boston, dem Ort des Marsh Chapel Experiments des Harvard Psilocybin Project. Das Bild "Marsh Chapel Window" von John Stephen Dwyer ist lizenziert unter CC BY-SA 3.0

Symbol der Gegenkultur der 1960er

In den 1960er Jahren hatten nicht nur Timothy Leary und Richard Alpert durch die LSD Experimente in den USA viel mit LSD zu tun. Geprägt wurde diese Zeit besonders durch die „Francisco Psychedelics“, der psychedelischen Bewegung in San Francisco. Diese Gegenkultur bestand überwiegend aus jüngeren Menschen, die sich gegen die starren sozialen Normen der damaligen Zeit auflehnten. Ihre Ansichten über die Liebe, den Frieden und der geistigen Erweckung wurden vor allem durch den Konsum von psychedelischen Drogen beeinflusst. Man könnte sagen, dass sie die Erfahrungen, die sie mit diesen Substanzen gemacht haben, ähnlich wie Leary, als beflügelnd empfanden und deren Gebrauch als gut und notwendig erachteten, um das menschliche Erleben zu steigern und eine friedlichere, eindrucksvollere Welt zu schaffen.


Es ist nicht verwunderlich, dass gerade Leary, der der gleichen Ansicht war und sogar daran forschte, diese wissenschaftlich fundiert zu festigen, zum Symbol dieser Gegenkultur  wurde. Seine Veröffentlichungen warfen das nationale Rampenlicht auf die psychedelische Bewegung in San Francisco . Besonders ein Slogan von Timothy Leary (Drop out, Tune in) wurde dabei besonders wichtig. Der Slogan lautet vollständig:  „Turn on, tune in, drop out“ und er fasst sowohl Timothys als auch die Philosophie der Gegenkultur perfekt zusammen:


  • „Turn on“ steht dabei dafür, das Bewusstsein durch psychedelische Drogen zu erweitern.

  • „Tune in“ steht für das Eintauchen in eine neue Erfahrungswelt und eine tiefere Ebene des Verständnisses für die Umgebung.

  • „Drop out“ ruft dazu auf, sich von den konventionellen, sozialen Erwartungen und Lebenswegen der Gesellschaft zu lösen.

Dieser Slogan wurde zu einer Art Schlachtruf der Gegenkultur und gemeinsam mit Leary zu ihrem Symbol. Sein Widerstand gegen die gesellschaftlichen Normen, seine kontroverse Forschung und seine Befürwortung von psychedelischen Drogen  machen ihn zu einer polarisierenden Figur, die den Geist der Gegenkultur der 1960er-Jahre perfekt verkörpert und verewigt.

Ehepartnerinnen und Kinder des LSD-Professors

Genauso turbulent wie seine Karriere war auch Learys Privatleben. Dieses war von außergewöhnlichen, wechselnden Beziehungen geprägt und war genauso unkonventionell, wie Timothy Leary selbst. Ehepartnerin des Professors war zunächst Marianne Busch. Aus dieser Ehe gingen die beiden leiblichen Kinder Susan und Jack Leary hervor.


Einige Zeit später heiratete er Mary Della Cioppa, doch auch diese Ehe sollte nicht für die Ewigkeit bestimmt sein. Auf Cioppa folgte eine sehr kurze Ehe mit Nena von Schlebrügge (sie ist die Mutter von Uma Thurman) und anschließend heiratete Timothy das letzte Mal in seinem Leben: Barbara Chase. Sie brachte Zach Leary mit in die Ehe, welcher der Sohn des Künstlers Michael Bowen war. Das machte jedoch keinen Unterschied für Timothy Leary. Kinder hatte er bereits aus seiner ersten Ehe, dennoch adoptierte er Zach und prägte diesen durch seine unkonventionelle Weltanschauung.


Als hätten sie aus Timothys turbulentem Leben zuvor gelernt, führten Barbara Chase und er eine dynamische Beziehung. So wurde sie zu einer wichtigen Begleiterin in seinem späteren Lebensabschnitt und war mit ihm bis zum Zeitpunkt seines Todes verheiratet – den er übrigens auch mit einer weiteren Lebensgefährtin namens Joanna Harcourt-Smith verbrachte. Es wird deutlich, dass Learys Familiengeschichte genauso vielschichtig und außergewöhnlich war, wie sein Leben. Starke Persönlichkeiten, komplexe Beziehungen und das alles von der Norm abweichend.

Timothy Leary: Bücher und Erfahrungen für die Ewigkeit

Learys Forschungen und Erkenntnisse verewigte er in diversen Büchern, Videos und Modellen. Sein Nachlass umfasst einzigartige Werke aus Experimenten, die so vermutlich nie wieder durchgeführt werden. Ein paar der bekanntesten sind folgende:


  • Ralph Metzner, Richard Alpert und Timothy Leary „The Psychedelic Experience: A Manual Based on The Tibetan Book of the Dead“ (Psychedelische Erfahrungen: Ein Handbuch nach Weisungen des tibetanischen Totenbuches): Zusammen mit Ralph Metzner und Richard Alpert zieht Leary in diesem Buch Parallelen zwischen den Erfahrungen aus psychedelischen Zuständen mit den Phasen des Sterbens, wie sie im tibetanischen Totenbuch beschrieben werden.

  • Timothy Leary „Your Brain Is God“: Dieses Buch ist eine Sammlung von Essays und Vorträgen, in denen er seine Gedanken zu Bewusstsein, Religion und Psychedelika darstellt. Es reflektiert seine Philosophie, dass das menschliche Bewusstsein göttliche Aspekte hat und durch den Einsatz dieser Substanzen erweitert werden kann.

  • Timothy Leary „Start Your Own Religion“: In diesem Buch ermutigt Leary die Leser dazu, traditionelle religiöse Dogmen zu hinterfragen und ihre eigene spirituelle Richtung zu finden. Es spiegelt seine Überzeugung wider, dass individuelle, spirituelle Erfahrungen wichtiger sind, als organisierte Religion.

  • Timothy Leary „How to Operate Your Brain“: Hierbei handelt es sich um kein Buch, sondern um ein Video von Timothy, das Anleitungen zur Bewusstseinserweiterung und Selbstreflexion bietet.

Rose of Leary und das Zirkumplexmodell

Neben Büchern und dem Video, erstellte Leary Modelle, mit denen man das menschliche Verhalten und Bewusstsein besser verstehen sollte:

  • Rose of Leary (Interpersonelle Zirkumplex-Theorie oder auch Interpersonaler Circumplex): Dieses Modell analysiert zwischenmenschliche Interaktionen und Verhaltensweisen auf zwei Achsen: Dominanz vs. Unterwerfung und Freundlichkeit vs. Feindseligkeit. So können Muster in sozialen Interaktionen verstanden und eingeordnet werden.

  • Timothy Leary: Schaltkreise des Bewusstseins: Dieses Modell beinhaltet acht Schaltkreise bzw. Ebenen des Bewusstseins (neurologisch und psychologisch), welche von grundlegenden Überlebensfunktionen bis hin zu spiritueller Erleuchtung reichen. Laut Leary ist es durch psychedelische Erfahrungen möglich, höhere Schaltkreise zu erreichen.

Timothy Leary: Zitate, die provozieren

Zum Abschluss möchten wir gerne eine kleine Auswahl von Timothy Learys bekanntesten Zitaten (neben Turn On, Tune In, Drop Out) präsentieren. Für diese war und ist er nämlich sehr bekannt, da sie prägnant und provokativ sind. Zum besseren Verständnis haben wir Timothy Learys Zitate grob ins Deutsche übersetzt:

  • „Think for yourself and question authority.“: „Denke selbstständig und hinterfrage Autoritäten.“ Dieses Zitat betont die Bedeutung von individueller Freiheit und kritischem Denken gegenüber Autoritäten.

  • „Women who seek to be equal with men lack ambition.“: „Frauen, die danach streben, Männern gleich zu sein, mangelt es an Ehrgeiz.“ Ein provokantes Zitat, das die konventionellen Vorstellungen von Geschlechterrollen und Gleichheit in Frage stellt.

  • „In the information age, you don't teach philosophy as they did after feudalism. You perform it. If Aristotle were alive today he'd have a talk show.“: „Im Informationszeitalter lehrt man Philosophie nicht, wie es nach dem Feudalismus der Fall war. Man führt sie auf. Wäre Aristoteles heute am Leben, hätte er eine Talkshow.“ Hier reflektiert Leary, wie sich das Vermitteln von Wissen in der heutigen Zeit verändert hat.

  • „LSD is a psychedelic drug which occasionally causes psychotic behavior in people who have NOT taken it.“: „LSD ist eine psychedelische Droge, die gelegentlich psychotisches Verhalten bei Menschen verursacht, die sie NICHT eingenommen haben.“ Ein ironisches Zitat, das auf die öffentliche Fehlwahrnehmung und Hysterie bezüglich LSD und dessen Gefährlichkeit hinweist.